Dr. Sarah Michaelis: „Um im Batteriemarkt erfolgreich zu sein, werden wir den Mut brauchen, in neue Ideen zu investieren.“

Battery-News.de: Die Lithium-Ionen Batterie ist eine Schlüsseltechnologie für nachhaltige Mobilität – welche Herausforderungen sehen Sie in diesem Themenfeld für die zukünftige Entwicklung?

S. Michaelis: Die Elektromobilität bietet uns eine Chance auf nachhaltige Mobilität. Aus klimarelevanter Sicht macht sie erst Sinn, wenn der Strom aus entsprechend nachhaltigen Quellen kommt, sowohl in der Produktion wie auch im Betrieb. Für die Produktionsprozesse gilt es darüber hinaus die Energieeffizienz weiter zu steigern. Die hochautomatisierte Großserienfertigung kann hier wesentlich zur Reduzierung von Ausschuss und Ineffizienzen beitragen.

Battery-News.de: Welche Prozessschritte sehen Sie als die wichtigsten Stellhebel in der Batteriezellfertigung, um eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Produktion in Europa zu etablieren?

S. Michaelis: Der wichtigste Stellhebel betrifft tatsächlich keinen einzelnen Prozessschritt sondern adressiert das große Ganze. Im Wettbewerb und der Nachhaltigkeit wird es vor allem um Prozessverständnis gehen. Wenn es uns gelingt dieses Produktions-Know-How in der Volumenproduktion aufzubauen haben wir die entsprechenden Firmen und Ingenieure, die das Wissen zielgerichtet in eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Fertigung umsetzen können.

Battery-News.de: Welche Rolle spielt die starke Forschungslandschaft in Deutschland in Bezug auf die Weiterentwicklung und Neuentwicklung von Prozesstechnologien in der Batterieproduktion aus Ihrer Sicht?

S. Michaelis: Die starke Forschungslandschaft zeichnet uns als Standort aus. Produktionsforschung ist der Schlüssel für Innovationen, die es braucht, um im Batteriemaschinenbau auf lange Sicht Erfolg zu haben.

Battery-News.de: Welche Chancen bieten sich durch den vor kurzem verkündeten Aufbau der Forschungsfabrik für Batteriezellenfertigung in Münster für die deutsche Industrie und die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer?

S. Michaelis: In vielen Diskussionen wird klar, dass es uns hier in Deutschland und Europa an Produktionswissen und Erfahrungen in der Serienfertigung von Batteriezellen fehlt. Die Idee der Forschungsfabrik ist es, dies zu ändern. Was erst einmal ein guter Gedanke ist. Eine der großen Herausforderungen einer Forschungsfabrik dieser Dimension wird aber sein, den Betrieb zu finanzieren.

Battery-News.de: In der deutschen Industrie wird auch immer wieder von der Batteriezelle als „Commodity“ gesprochen. Die Mitglieder der europäischen Union unternehmen trotzdem große Aufwände, um die Zellfertigung auch nach Europa zu holen. Ist es diesen Aufwand überhaupt wert?

 S. Michaelis: Derzeit sind europäische Unternehmen stark von Batteriezellimporten abhängig. Bereits jetzt ziehen die Preise für Zellen am Markt an. Die meist asiatischen Zellhersteller werden zudem versuchen weitere Teile der Wertschöpfungskette wie die Modulmontage zu besetzen. Die eigene Batteriezellfertigung hat daher vor allem strategisches Gewicht und ist für den gesamten Standort wichtig.

Battery-News.de: Ist das Rennen gegen asiatische Wettbewerber im Bereich Batteriezellfertigung nicht schon längst verloren?

S. Michaelis: Diese Frage mit ja zu beantworten, wäre aus meiner Sicht fatal. Die Konsequenz wäre, dass wir einfach anderen Playern das Feld überlassen. Das sollten wir nicht tun und ich glaube keinesfalls, dass das Rennen schon verloren ist. Ich bin mir sicher, dass in den letzten Jahren viel Know-How in allen wichtigen Branchen aufgebaut worden ist. Jetzt gilt es dies zu nutzen. Für den Maschinen- und Anlagenbau ist es entscheidend, Zugang zur Serienproduktion zu bekommen. Den Rest können wir. Nicht zuletzt bieten die Digitalisierung und Industrie 4.0 Konzepte immenses Potenzial zur Verbesserung einer Fertigung.

Battery-News.de: Durch welche Kompetenzen kann sich der deutsche Maschinen- und Anlagenbau im Bereich der Batteriezell-, modul- und Packproduktion von seinen asiatischen Wettbewerber differenzieren?

S. Michaelis: Wenn wir die gesamte Produktionskette betrachten, sprechen wir über eine Vielzahl von Fertigungsschritten. In jedem Einzelnen gilt, wenn ich es schaffe die Qualität oder Produktivität entscheidend zu verbessern, kann ich mich vom Wettbewerber differenzieren. In der Modul- und Packproduktion haben die europäischen Maschinenbauer bereits eine kompetitive Stellung. Als eine große Chance in der Zelle USPs zu entwickeln, werden Nachhaltigkeitsaspekte und Industrie 4.0 Konzepte gesehen.

Battery-News.de: Die europäische Regierung und auch einige europäische Start-Ups streben eine besonders nachhaltige Produktion von Batteriezellen an. Welche Stellhebel sehen Sie in diesem Zusammenhang – auch im Hinblick auf eine mögliche Differenzierung gegenüber den asiatischen Wettbewerbern?

S.Michaelis: Eines unserer Mitglieder hat mal gesagt „Gute Regulierungen können Märkte schaffen“. Eine Überregulierung gilt es aber unbedingt zu vermeiden. Die Energieeffiziente Produktion und das Ziel den CO₂-Footprint zu reduzieren sind wesentliche Ziele für die Mobilität von Morgen und bieten die Chance zur Differenzierung.

Battery-News.de: Peter Altmaier hat den optimistischen Plan ausgegeben, dass spätestens 2030 mindestens 30% der weltweiten Batteriekapazität in Europa produziert werden sollen. Das würde nach aktuellen Schätzungen ein Produktionsvolumen zwischen 200 und 600 GWh pro Jahr bedeuten. Wann rechnen Sie mit einer ersten industriellen Massenfertigung für Lithium-Ionen Batteriezellen in Europa?

S. Michaelis: Fabrikankündigungen gibt es für 58GWh bis 2022 und mittelfristig für 204 GWh in Europa. Firmen wie Samsung und LG produzieren bereits im unteren GWh Maßstab und werden die Produktionskapazitäten sukzessive hochfahren, Northvolt und SK Innovation wollen bereits 2020 mit 8GWh, bzw. 9 GWh starten. Die meisten anderen Firmen, wie CATL, kündigen den Produktionsstart für 2022 an.

(Zusatz:
Ungarn: 

• Samsung SDI 3 GWh (2018)
• SK Innovation 9 GWh (Start ab 2020; volle Produktionskapazität soll innerhalb von 2 Jahren erreicht werden, weitere Investitionen für eine zweite Factory stehen bereit)

Polen: 

• LG Chem 4 GWh ab 2019, mittelfristig 12 GWh

Deutschland:

• CATL 24 GWh (Start ab 2022) 100 GWh bis 2025
• Ankündigung zu TerraE (nach der Übernahme durch BMZ) 4GWh ab 2020, mittelfristig 8GWh
• Farasis Energy 6 GWh ab 2022 ; mittelfristig 10GWh;
• Volkswagen / Northvolt 16GWh ab 2023/2024; mittelfristig 30 GWh.

Schweden:

• Northvolt 8 GWh (2020), 32 GWh (2023)

Weitere wichtige Zellhersteller mit Ambitionen für Großprojekte in Europa (mindestens 10GWh und mehr): BYD, Tesla, GSR Capital, Blackstone Resources

Battery-News.de: Alternative Technologien wie z.B. die All-Solid-State Batterie werden auch in den Medien immer häufiger diskutiert. Wann rechnen Sie mit einem nächsten Technologiesprung und wie schätzen Sie die Chancen Deutschlands ein, diesmal eine führende Rolle zu übernehmen?

S. Michaelis: Die All-Solid-State Batterie bietet überzeugende Vorteile wie die höhere Energiedichte (volumetrisch und gravimetrisch), Zyklenfestigkeit, die thermische Stabilität sowie die kürzeren Ladezeiten. Sie sollte allerdings nicht als Ausrede missbraucht werden, abzuwarten und nichts zu tun. In der All-Solid-State Technologie wird nur der erfolgreich sein, der jetzt Know-How mit der serienreifen Technologie aufbaut oder bereits aufgebaut hat. In vielen Prozessschritten sind Kompetenzen übertragbar, wie der Prozessflyer „Produktion einer All-Solid-State Batteriezelle“, den wir gemeinsam mit der RWTH Aachen veröffentlicht haben, zeigt.

Darüber hinaus steht für mich noch lange nicht fest, ob überhaupt und wenn ja wann ein disruptiver Wandel erfolgt. Die jetzige Li-Ionen Zelle ist noch nicht ausgereift und wird sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Die All-Solid-State Zelle wird sich in Kosten und Performance damit messen lassen müssen.

Gerade in der Prozessierbarkeit und Hochskalierung muss sich die All-Solid-State Batteriezelle erst noch beweisen.

Battery-News.de: Welche Chancen ergeben sich für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau durch einen möglichen Technologiesprung?

S. Michaelis: In den Bereichen, in denen neue Kompetenzen gefragt sind, wird sich auch die Tür für neue Player öffnen. Die Chancen werden durch einen Technologiesprung aber nicht vom Himmel fallen.

Battery-News.de: Wie können deutsche Maschinen- und Anlagenbauer in Zukunft auf dem Batteriemarkt konkurrenzfähig bleiben?

S. Michaelis: In dem sie bessere Produkte anbieten als Ihre Konkurrenten. Um das zu realisieren ist der Austausch mit den Batterieherstellern (Zellherstellern, Batteriemodul oder Batteriesystemherstellern) ein entscheidender Faktor.

Battery-News.de: In der europäischen Gemeinschaft wird immer häufiger auch das Thema der Entsorgung von Batterien thematisiert. Wie schätzen Sie die Kompetenzen der deutschen Industrie in Bezug auf die Themen Recycling und Re-Manufacturing ein?

S. Michaelis: In dem Bereich sind wir ähnlich wie in der Modul- und Batteriepackmontage kompetitiv.

Battery-News.de: Wie wichtig werden aus Ihrer Sicht in Zukunft Anwendung im 2nd- oder 3rd-Use sein?

S. Michaelis: Nach der ersten Nutzungsphase hat die Batterie noch einen Wert, der sie für eine Zweitnutzung attraktiv macht. Anstelle eines sofortigen Recyclings könnten Batterien auch im zweiten Leben noch verwendet werden, selbst wenn Rohstoffe an sie gebunden sind. Ich halte vor allem 2nd- aber ggf. auch 3rd-Use Anwendungen für eine sinnvolle und nachhaltige Option und gehe davon aus, dass sie zukünftig zum Lebens-Kreislauf einer Batterie dazugehören werden.

Battery-News.de: Welchen Denkanstoß möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern noch mitgeben?

S. Michaelis: Um im Batteriemarkt erfolgreich zu sein, werden wir den Mut brauchen, in neue Ideen zu investieren. Damit meine ich nicht in neue Batterie-Technologien, sondern in erster Linie den bestehenden Produktionsprozess. Hier können wir nur besser werden, wenn wir Innovationen und neue Ideen kreieren aber vor allem realisieren. Wir brauchen die Risikobereitschaft, neue Ansätze in Serie umzusetzen. Bei dem sensiblen Prozess der Batteriezellherstellung ist es oft naheliegend den alt bewährten sicheren Weg einzuschlagen.