Prof. Klocke: „Die Prozessabläufe werden über standardisierte Schnittstellen realisiert, um ganz dezidiert der deutschen Industrie Möglichkeiten zu geben, eigene Anlagentechniken zu entwickeln, zu optimieren und dann unter Produktionsbedingungen zu testen“

Veröffentlicht am: 08.03.2020

Der bekannte Produktionstechniker Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. Dr. h.c. Fritz Klocke, Leiter Forschungsfertigung Batteriezelle, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Technologie der Fertigungsverfahren, Mitglied des Direktoriums des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie, spricht über die aus seiner Sicht wichtigsten Herausforderungen im Bereich der Produktion von Lithium-Ionen-Zellen sowie die Chancen und Möglichkeiten der Forschungsfertigung Batteriezelle in Münster.

Redaktion: Guten Tag Herr Prof. Klocke. Energiespeicher sind in vielen Bereichen des täglichen Lebens unverzichtbar geworden. Zahlreiche Forschungsgruppen untersuchen seit Jahren die Potenziale und Perspektiven von Batterien und Batteriezellen. Wie schätzen Sie die Entwicklung der vergangenen Jahre und das Leistungsvermögen von künftigen Energiespeichern in den kommenden Jahren ein?

Prof. Klocke: Ich verfolge mit großem Interesse und hohem Respekt, wie durch die Materialforschung und durch neue Zellkonzepte die Leistungsfähigkeit gesteigert, aber auch in der Produktion Leistungspotentiale sichtbar und nutzbar gemacht werden. In diesem Umfeld ist noch erhebliches Entwicklungspotential vorhanden, dass schon gezielt angegangen wird, aber hier können wir noch besser werden.

Redaktion: Welche Entwicklungen im Themengebiet der Batteriefertigung sind Ihrer Meinung nach momentan technologisch besonders vielversprechend?

Prof. Klocke: Dies schließt an die vorhergehende Frage an. Ich bin von Haus aus Produktionstechniker und deshalb gilt mein besonderes Augenmerk den Produktionstechnologien, der Automatisierungstechnik sowie den Maschinen und Anlagen, aber auch den Menschen, die in diesem Produktionsumfeld arbeiten. Hier suche ich mit unseren Teams nach Optimierungen. Andererseits müssen unsere Produktionen nicht nur in der Kapazität skalierbar sein, sondern auch adaptierbar und zur Produktion von neuen Zellkonzepten fähig sein.

Redaktion: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten zur Kostenreduktion von Batterien in Folge produktionstechnischer Optimierungen ein?

Prof. Klocke: Ein wichtiges Feld zur Steigerung der Produktivität ist eine Erhöhung der Material- und Energieeffizienz. Außerdem erwarten wir, dass mit einer vollständigen Vernetzung der Systeme und durch Messen von Zustandsgrößen, die mit eindeutigen Zeit- und Ortsstempeln versehen sind, in den Prozessen und Anlagen sowie im erweiterten Produktionsumfeld Informationen verfügbar werden, aus denen wir Systematiken erkennen, von denen ausgehend dann Prozessoptimierungen angestoßen werden. Wir werden uns dabei nicht nur auf das Erfassen „strukturierter“ Daten, die wir diskret an verschiedenen Orten und zu definierten Zeiten erfassen, sondern auch „nichtstrukturierte Daten“, Bildauswertungen, Sprache usw., in den Datenvorrat mit einpflegen.

Redaktion: Unter anderem durch die Elektrifizierung des Antriebsstranges in der Automobilindustrie werden in den kommenden Jahren steigende Produktionsmengen von Lithium-Ionen-Speichern erwartet. Was denken Sie? Welche Folgen wird dies für den Fertigungsstandort Deutschland haben?

Prof. Klocke: Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs treibt sicher den Bedarf, aber wir dürfen auch den Bereich der Konsumerindustrie, der Gesundheitstechniken, stationärer Speicher und der mobilen Werkzeuge nicht außer Acht lassen. Das Wachstumspotential ist entsprechend hoch. Nicht nur aus den sich ergebenden Produktionsbedarfen, auch im Sinne nachhaltiger Produktionen und effizienter Materialnutzung, müssen wir auch die Rückführung, Aufbereitung und Wiederverwendung der Materialien sofort mit organisieren und realisieren.

Redaktion: Ein Fraunhofer-Team hat das Konzept für die Forschungsfertigung Batteriezelle erarbeitet, welches nun in einem strategisch bedeutenden Großprojekt, der Forschungsfabrik Batteriezelle (FFB), umgesetzt werden soll. Was bewegt Sie, eine solche Einrichtung in Deutschland als einer der führenden Köpfe mitzugestalten?

Prof. Klocke: Dies ist ein extrem spannendes und auch herausforderndes Konzept. Es ist auch einmalig, so ein Forschungsformat gibt es bisher weltweit nicht. In diesem Feld zusammen mit anderen Fachdisziplinen aus der Natur- und Materialwissenschaft, dem Maschinenbau sowie der Informatik ein Forschungsfeld zu gestalten, in dem unter realen Produktionsbedingungen neue Speichertechnologien gefertigt werden, ist traumhaft.

Redaktion: Im Handout zum Dachkonzept „Forschungsfabrik Batterie“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist zu lesen, dass mit dem Vorhaben nicht nur die Forschung gestärkt, sondern auch eine Batteriezellenproduktion in Deutschland etabliert werden soll. In welchem Umfang wird dies Ihrer Meinung nach möglich sein?

Prof. Klocke: Ja, das ist ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal. Das produzierende Gewerbe und auch die angebundenen Dienstleistungen sind in Deutschland besonders ausgeprägt und leistungsfähig. Dies schließt den Maschinen- und Anlagenbau und auch die Ausbildung in den Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften mit ein. Man darf feststellen, dass dies Standortmerkmale sind, die naheliegenderweise als Grundlage der Forschungsproduktion genutzt werden. Die frei zugängliche Produktionsforschung ist ihrer Gesamtheit nirgends auf der Welt so ausgeprägt und auch ausgestattet, wie in Deutschland.

Redaktion: Die Forschungsfertigung Batteriezelle soll nicht zuletzt auch als zentrales Element etabliert werden, um den Transfer neuer Batteriezellkonzepte und notwendiger Anlagentechnik in die Industrie zu beschleunigen. Wie schätzen Sie diesen Ansatz ein?

Prof. Klocke: Der Maschinenbau, die Anlagentechnik sind in Deutschland stark vertreten, in der Breite nicht unbedingt in den Technologien zur Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien. Natürlich haben wir in Deutschland in einzelnen Prozessschritten auch führende Anbieter, der Wettbewerb aus Asien ist aber auch sehr stark. Das Konzept der Forschungsfabrik sieht nun vor, dass die Prozessabläufe über standardisierte Schnittstellen realisiert werden, um ganz dezidiert auch der deutschen Industrie Möglichkeiten zu geben, eigene Anlagentechniken zu entwickeln, zu optimieren und dann unter Produktionsbedingungen zu testen. Die Forschungsfabrik kann in einer höheren Ausbaustufe auch die Funktion einer unabhängigen Zertifizierungsinstitution erlangen. Dies ist Zukunftsmusik, aber auch ein Ziel.

Redaktion: Wird es grundsätzlich notwendig bzw. überhaupt (noch) möglich sein, die gesamte Wertschöpfungskette der Batteriefertigung auch im internationalen Vergleich konkurrenzfähig abzubilden? In welchen Bereichen kann sich eine deutsche / europäische Batteriezelle von den asiatischen Wettbewerbern abgrenzen?

Prof. Klocke: Abgrenzen ist in Marktwirtschaften ein schwieriges Unterfangen, das Bessere ist immer des Guten Feind. Also muss man unter Marktbedingungen besser sein. Und dieses besser sein kann sich in verschiedenen Merkmalen ausdrücken. Ich will jetzt nicht lehrbuchartig Merkmale aufzählen, unser Ansatz ist, ganz gezielt in Zusammenarbeit mit interessierten Industrieunternehmen einen Leistungskatalog zu definieren, der zu Alleinstellungen führt und diesen dann auch umzusetzen.

Redaktion: Die Bedeutung von Rohstoffen, wie Kobalt, Mangan oder Nickel für die Batteriefertigung ist unbestritten hoch. Nach Schätzungen entfallen beispielsweise nur 10% des Wertes einer Batteriezelle auf die Produktion. Rund 60% jedoch auf teure Kathodenmaterialien. Ein Materialrecycling findet bisher jedoch teilweise gar nicht oder nur eingeschränkt statt. Deutschland ist dabei stark vom Import dieser Materialien abhängig. Denken Sie, dass das Thema Recycling und die Rückgewinnung der Rohstoffe auch an der Forschungsfabrik Batteriezelle bzw. darüber hinaus eine wichtige Position einnehmen wird?

Prof. Klocke: Ja, unbedingt. Mit dem zusätzlich zur Batteriefertigung angegangenen Recyclingkonzept wird den in der Frage genannten Herausforderungen Rechnung getragen, und wir von der Forschungsfertigung sind in engem Kontakt mit den Kollegen der Materialwissenschaften, um hier die Schnittstellen sauber zu definieren und um dann geschlossene Wertstoffkreisläufe zu realisieren.

Redaktion: Abschließend würde ich Sie gerne bitten uns noch mitzuteilen, welche Erwartungen Sie persönlich an die Forschungsfabrik in Münster haben. Denken Sie, dass es eine nationale Erfolgsstory wird?

Prof. Klocke: Wir starten in Münster mit einem Kernteam, hochmotiviert und kreativ, aber auch mit dem notwendigen Pragmatismus ausgestattet. Mit Professor Winter und seinem Team vom Meet haben wir im Bereich der Elektrochemie den weltweit führenden Forscher „next door“ an unserer Seite, die Gebäudeinfrastruktur und erste Investitionen sind auf dem Weg, viele Forschungs- und Dienstleistungseinrichtungen arbeiten mit uns zusammen und liefern Leistungen, die wir in zwei Jahren in einer ersten Fertigungslinie zusammengeführt haben wollen. Zum zweiten Teil der Frage: Natürlich wird dies eine nationale Erfolgsstory, mit weit über die Grenzen hinausgehende Strahlkraft. Es gibt viel zu tun, alle packen jetzt schon beherzt an.

globenewswire.com

Batterieproduktion

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