„Ladezustand-Schätzfehler können bis zu zehn Prozent Umsatz kosten“

Batteriespeicher: ein entscheidender Baustein für die Umsetzung der Energiewende. Mit welchen Herausforderungen die Speicheranlagen konfrontiert sind und wie das Unternehmen ACCURE Battery Intelligence sich als Anbieter von prädiktiver Analyse-Software für Batteriespeicher etabliert hat, erzählt CTO und Mitbegründer Dr. Georg Angenendt im Exklusiv-Interview mit den Battery-News.

Battery-News: Welche Bedeutung haben Überwachungsstrategien für stationäre Energiespeicher im Kontext der Energiewende?
Dr. Georg Angenendt: Batteriespeicher spielen eine Schlüsselrolle in der Energiewende – sei es zur Stabilisierung der Netze, zum Ausgleich von Lastspitzen oder für eine flexible Energieversorgung. Trotz ihrer zentralen Bedeutung kämpfen Speicheranlagen mit einigen Herausforderungen: Häufig liefern sie nicht die erwartete Leistung, altern schneller als geplant oder entwickeln sicherheitskritische Zustände. Deshalb ist eine zuverlässige und vorausschauende Überwachung essenziell. Unsere Vision war von Anfang an, Transparenz in Batteriesysteme zu bringen – herstellerunabhängig, skalierbar und datenbasiert. Das Ziel: Ausfälle frühzeitig vorherzusagen, Risiken minimieren und die Performance optimieren.

„Wie viel tatsächlich möglich ist, das ist stark vom bisherigen Betrieb und Zustand des Systems abhängig.“

Battery-News: In einem Konferenzvortrag haben Sie interessante Aspekte zur reversiblen Alterung geteilt. Wie viel verlorene Kapazität lässt sich tatsächlich zurückgewinnen – und welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Angenendt: Wir unterscheiden zwischen irreversibler und reversibler Alterung. Die erste ist der normale, elektrochemisch bedingte Alterungsprozess. Reversible Alterung hingegen entsteht oft durch ein Ungleichgewicht im System – also durch ungleichmäßig geladene Zellen. Bei vielen Kundenanwendungen konnten wir bis zu zehn Prozent der Kapazität durch gezieltes Balancing zurückgewinnen. Wie viel tatsächlich möglich ist, das ist stark vom bisherigen Betrieb und Zustand des Systems abhängig. Besonders bei LFP-Zellen – die inzwischen mehr als 80 Prozent der stationären Großspeicher ausmachen – ist das ein großes Thema.

Battery-News: Was genau ist unter „Balancing“ zu verstehen – und weshalb ist das bei LFP-Zellen besonders herausfordernd?
Angenendt: Balancing bedeutet, die einzelnen Zellen in einem seriellen Batterieverbund auf denselben Ladezustand zu bringen – denn die Zelle mit dem niedrigsten Ladezustand limitiert die gesamte nutzbare Kapazität, wie das schwächste Glied einer Kette. Bei LFP-Zellen wird meist nur in Randbereichen balanciert – also bei nahezu vollem oder leerem Zustand. Wird ein Speicher aber nicht regelmäßig vollständig ge- oder entladen, entstehen im Laufe der Zeit größere Unterschiede zwischen den Zellen. Das führt zu vermeidbaren Kapazitätsverlusten, die sich durch gezieltes Balancing verringern lassen.

„Mittels prädiktiver Batterie-Analytik lässt sich ein bis zu 20 Prozent betragender Schätzfehler auf etwa zwei Prozent reduzieren – was die Wirtschaftlichkeit deutlich verbessert.“

Battery-News: Sie sprachen in Ihrem Vortrag auch über die Problematik fehlerhafter Ladezustandsschätzungen. Was sind die Ursachen für solche Schätzfehler?
Angenendt: Das hauptsächliche Problem liegt in der flachen Spannungskurve von LFP-Zellen im mittleren Ladebereich. Die sogenannte Open-Circuit-Voltage – die OCV – ändert sich dort kaum, so dass spannungsbasierte Methoden zur Ladezustandsschätzung wenig zuverlässig sind. Kombiniert man das mit Messungenauigkeiten beim „Coulomb Counting“ – also beim Zählen der ein- und ausgehenden Ladung –, entstehen schnell Fehler von bis zu 20 Prozent. Das wirkt sich direkt auf die Wirtschaftlichkeit aus: In einer Studie mit „Modo Energy“ haben wir gezeigt, dass solche Schätzfehler bis zu zehn Prozent Umsatzverlust bedeuten können. Mittels prädiktiver Batterie-Analytik lässt sich dieser Schätzfehler auf zirka zwei Prozent reduzieren – was die Wirtschaftlichkeit deutlich verbessert.

Battery-News: Inzwischen kommen immer häufiger Second-Life-Batterien zum Einsatz. Wie geht ACCURE mit deren Komplexität um?
Angenendt: Unsere Plattform ist unabhängig davon, ob es sich um First- oder Second-Life-Systeme handelt. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Aachener Start-up-Unternehmen Voltfang zusammen, das Second-Life-Batterien nutzt. Wir setzen auf ein mehrstufiges Sicherheitsmonitoring mit mehr als 20 Indikatoren, die potenzielle Risiken identifizieren. Daraus entsteht ein leicht verständlicher „Safety Score“ von grün bis rot, der unseren Kunden direkt anzeigt, ob Handlungsbedarf besteht. Dabei berücksichtigen wir Zelltypus, Alter und Herkunft – und können auch Systeme mit gemischter Zellhistorie problemlos integrieren.

„Natrium-Ionen-Zellen sind oft einfacher zu analysieren als LFP-Zellen, da ihre Ruhespannungskurve häufig steiler ist.“

Battery-News: Und wie flexibel ist Ihre Plattform in Bezug auf unterschiedliche Zellchemien?
Angenendt: Unser Fokus liegt auf Lithium-Batterien – unabhängig davon, ob es sich um LFP, NMC oder LTO handelt. Auch mit ersten Natrium-Ionen-Projekten haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Wir nutzen die OCV-Kurven als Basis und beobachten ihre Veränderungen im Laufe der Zeit, um daraus Rückschlüsse auf den Zellzustand zu ziehen. Tatsächlich sind Natrium-Ionen-Zellen in dieser Hinsicht oft sogar einfacher zu analysieren als LFP-Zellen, da ihre Ruhespannungskurve häufig steiler ist.

Battery-News: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Algorithmen nicht zur „Black Box“ werden – also: dass sie für Betreiber nachvollziehbar bleiben?
Angenendt: Nachvollziehbarkeit ist uns äußerst wichtig. Deshalb setzen wir primär nicht auf klassische KI-Black-Boxen, sondern auf physikalisch basierte Modelle, aus denen wir erklärbare Indikatoren ableiten. Für Prognosen nutzen wir dann ergänzend KI-Methoden. Außerdem betreiben wir kontinuierlich Post-Mortem-Analysen: Zellen, die wir als kritisch identifiziert haben, schicken wir ins Labor, nehmen CT-Scans vor und überprüfen, ob unsere Einschätzungen korrekt waren. So verbessern wir unsere Algorithmen kontinuierlich.

„Einige Stellen der EU-Batterieverordnung sind noch etwas vage formuliert, aber sie geht definitiv in die richtige Richtung.“

Battery-News: Welche Bedeutung hat die EU-Batterieverordnung für Ihre Arbeit?
Angenendt: Für uns ist sie ein klarer Innovationsmotor. Die Verordnung fordert mehr Transparenz, Datenverfügbarkeit und Nachhaltigkeit – genau das, was unsere Plattform bietet. Natürlich sind einige Stellen der Verordnung noch etwas vage formuliert, aber sie geht definitiv in die richtige Richtung. Wir sind außerdem ISO-zertifiziert, was unsere Kompetenz im sicheren Umgang mit sensiblen Batteriedaten unterstreicht. Insgesamt ist das für uns eine große Chance.

Battery-News: Welche Vision verfolgt ACCURE langfristig?
Angenendt: Unsere Vision ist es, alle Batterien der Welt besser zu machen: sicherer, nachhaltiger und wirtschaftlicher. Dabei denken wir über stationäre Speicher hinaus, aber in diesem Segment ist der Impact derzeit besonders hoch. Unsere Plattform soll ein zentrales Werkzeug sein, um die Transformation des Energiesystems zu begleiten und mitzugestalten.

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