„Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bedingen sich gegenseitig“

Lange, bevor das Thema branchenweit Aufmerksamkeit bekommen hat, befasste sich das deutsche Unternehmen IAV bereits mit Bipolarbatterien. Wo die Technologie heute steht und welche Vorteile sie für künftige Fahrzeug-Architekturen verspricht, erklärt IAV-„Senior Technical Consultant“ und „Tech Sales Manager“ Michael Clauß im Exklusiv-Interview mit den Battery-News.

Battery-News: IAV ist bekannt für ganzheitliche Fahrzeugentwicklung. Was bedeutet das konkret, wenn man heute über moderne Elektromobilität spricht?
Michael Clauß: IAV wurde 1983 als Start-up-Unternehmen aus der Technischen Universität Berlin heraus gegründet – mit einer starken Vision für innovative Antriebstechnologien. Seitdem haben wir unser Leistungsspektrum systematisch und kontinuierlich erweitert. Heute verstehen wir uns als ganzheitlicher Tech-Solution-Provider, das bedeutet: Wir sind nicht nur klassischer Engineering-Partner, sondern gestalten die Produkte unserer Kunden – von der ersten Idee über das Konzept, die Systemarchitektur und die Serienentwicklung bis hin zur Markteinführung. Auch danach endet unsere Verantwortung nicht: Wir begleiten unsere Kunden über die gesamte Lebensdauer ihrer Produkte hinweg, unterstützen den Flottenbetrieb, analysieren Betriebsdaten und tragen zur Optimierung im „After Sales“-Bereich bei.

„Im Fahrzeugbereich stößt man auf deutlich komplexere, verschachtelte Bauräume.“

Battery-News: Ihr Unternehmen beschäftigt sich seit 2014 mit Bipolarbatterien – lange, bevor das Thema branchenweit Aufmerksamkeit bekommen hat. Wo steht diese Technologie heute, und welche Vorteile verspricht sie für künftige Fahrzeugarchitekturen?
Clauß: Auf Basis unserer langjährigen Erfahrung in der Batterieentwicklung hatten wir gemeinsam mit Partnern schon damals erkannt, dass Batteriesysteme für Fahrzeuge völlig neu gedacht werden müssen. Während man bei Konsumgütern wie Smartphones bereits hochintegrierte Batteriesysteme hatte, stößt man im Fahrzeugbereich auf deutlich komplexere, verschachtelte Bauräume. Diese Herausforderung war für uns der Ausgangspunkt, ein völlig neues Zell- und Systemdesign zu entwickeln. In den vergangenen zehn Jahren haben wir intensiv an Materialinnovationen gearbeitet – unter anderem konnten wir Grafit und NMC-Materialien in unsere Zellarchitektur integrieren. Parallel dazu ist es uns gelungen, ein starkes Partnernetzwerk mit mehr als 100 Unternehmen aufzubauen, das von der Materialentwicklung über den Maschinenbau bis hin zur Industrialisierung reicht. Erste Produktionsanlagen stehen inzwischen bereit., und Herausforderungen wie Dichtheit und Sicherheit im Fahrzeugumfeld haben wir lösen können. Besonders stolz sind wir auf die erfolgreichen Projekte mit namhaften deutschen Automobilherstellern, mit denen wir weiterhin intensiv an der Fahrzeugintegration arbeiten.

Battery-News: Welche Vorteile bietet die Technologie von IAV?
Clauß: Sie ermöglicht einen bis zu 30 Prozent geringeren Innenwiderstand, einen mehr als 20 Prozent höheren Energieinhalt und durch den Verzicht auf klassische Zellgehäuse eine deutlich verbesserte Nachhaltigkeit. Gleichzeitig erlaubt die kompakte Bauweise eine deutlich reduzierte Systemhöhe – ein echter „Game Changer“ für moderne Fahrzeugarchitekturen.

„Elektromobilität kann nur dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn sie auch nachhaltiger ist als konventionelle Technologien – und zwar sowohl ökologisch als auch ökonomisch.“

Battery-News: Seit 2019 verfolgen Sie Eco-Design-Konzepte. Welche konkreten Anforderungen ergeben sich daraus für die Batterieentwicklung – zum Beispiel mit Blick auf Modularität, Reparierbarkeit oder Materialwahl?
Clauß: Elektromobilität kann nur dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn sie auch nachhaltiger ist als konventionelle Technologien – und zwar sowohl ökologisch als auch ökonomisch. Genau mit diesem Anspruch haben wir 2019 unser Eco-Design-Programm ins Leben gerufen. Ausgangspunkt war eine detaillierte Analyse der Materialzusammensetzungen von Batteriesystemen und deren Treibhausgaspotenzial. Parallel dazu haben wir den Austausch mit zahlreichen Recycling-Unternehmen gesucht, um deren Herausforderungen besser zu verstehen und praxisnahe Lösungen zu entwickeln.

Battery-News: Wie hat sich das weiterentwickelt?
Clauß: Unser erstes Ziel war es, ein Batteriesystem zu schaffen, das weniger Emissionen verursacht, einfacher zu demontieren ist und gleichzeitig einen wirtschaftlichen Vorteil bietet. Diese Ziele haben wir schon 2020 mit „Eco-Design 1.0“ erreicht. Im nächsten Schritt haben wir uns intensiv mit dem Thema „Second Life“ auseinandergesetzt und entsprechende Anforderungen in ein weiterentwickeltes Eco-Design integriert. Dabei haben wir uns immer an realen Fahrzeug- und Stationärspeicher-Batterien orientiert und daraus Anforderungen abgeleitet, etwa eine Lebensdauer von mehr als zehn Jahren. Ein konkreter Hebel war der Ersatz von Aluminium durch Stahl, was in unserem Fall zu rund 50 Prozent weniger Emissionen geführt hat. Die modulare Struktur in Schritten von 25 Kilowattstunden erlaubt außerdem skalierbare Lösungen – vor allem für industrielle stationäre Speicher. Insgesamt konnten wir durch unsere Entwicklung die Strukturkosten um etwa 30 Prozent senken und das Treibhausgaspotenzial im Vergleich zu marktüblichen Konzepten um rund 50 Prozent reduzieren. Das zeigt: Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit schließen sich nicht aus – im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig.

„Heute sprechen wir nicht mehr nur von Fahrzeugentwicklung – wir sprechen vom ‚Software-Defined Vehicle‘.“

Battery-News: Datenbasierte Entwicklung, Flottenanalysen und virtuelle Prüfstände verändern derzeit die Branche. Wie nutzen Sie diese Ansätze speziell in der Batterieentwicklung – etwa zur Lebensdauerprognose oder zur Sicherheitsbewertung?
Clauß: Heute sprechen wir nicht mehr nur von Fahrzeugentwicklung – wir sprechen vom „Software-Defined Vehicle“. Das bedeutet für uns bei IAV, dass Software der zentrale Treiber für Innovation, Effizienz und Sicherheit ist. Unsere gesamten Methoden und Tools sind darauf ausgerichtet, den Ressourceneinsatz über den kompletten Entwicklungsprozess hinweg so effizient wie möglich zu gestalten. Das beginnt schon bei der Zellentwicklung und -produktion, setzt sich über die komponentengenaue Auslegung des Gesamtsystems fort und mündet in einer ganzheitlichen Antriebsstrang-Synthese. Virtuelle Fahrzeugmodelle ersetzen dabei viele klassische Designschleifen, denn wir simulieren frühzeitig, was damals noch mühsam getestet werden musste. Prüfstandmessungen setzen wir gezielt und punktuell ein. Gleichzeitig prognostizieren unsere physikalischen Modelle das Alterungsverhalten einzelner Komponenten im Verlauf der Zeit. In der Nutzung überwachen wir ganze Fahrzeugflotten mittels Cloud-Anbindung. So erkennen wir sicherheitskritische Anomalien rechtzeitig – oft Wochen, bevor sie überhaupt spürbar wären.

Battery-News: Zum Beispiel?
Clauß: Wir können Auffälligkeiten einzelner Zellen im Batteriesystem früh erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten – lange Zeit, bevor ein „Thermal Runaway“ auch nur ansatzweise möglich wäre. Für den Kunden bedeutet das am Ende maximale Verfügbarkeit, hohe Sicherheit – und ein Fahrzeug, das einfach funktioniert. Der technologische Aufwand bleibt im Hintergrund, der Komfort steht im Vordergrund.

„Um Schnellladen noch komfortabler und leistungsstärker zu gestalten, braucht es neue Materialkombinationen in der Zelle und deutlich effizientere Kühlkonzepte.“

Battery-News: Themen wie „Thermal Propagation Prediction“ oder „Immersion Cooling“ zeigen, wie eng Sicherheit und Thermomanagement miteinander verbunden sind. Wie bringen Sie diese Konzepte mit Anforderungen an Packaging, Kosten und Wartung in Einklang?
Clauß: Innovation ist für uns kein Selbstzweck – sie ist unser ständiger Antrieb. Gleichzeitig ist es der Kunde, der mit seinen Anforderungen an Performance und Ladegeschwindigkeit eindeutig vorgibt, wohin die Reise geht. Daraus ergeben sich konkrete technische Herausforderungen: Um Schnellladen noch komfortabler und leistungsstärker zu gestalten, braucht es neue Materialkombinationen in der Zelle und deutlich effizientere Kühlkonzepte. Im Premium-Segment geht man oft noch einen Schritt weiter: Dort arbeiten wir mit direkt gekühlten Zellen, um das physikalische Optimum herauszuholen – ein Ansatz, der zwar kostenintensiver ist, aber vor allem bei Sportwagen absolut Sinn ergibt. Unabhängig vom Segment sehen wir unsere Stärke aber darin, Innovationen nicht nur technisch möglich zu machen, sondern sie auch kostenbewusst und zeiteffizient in die Serie zu bringen. Das heißt: Wir verbinden High-End-Technologie mit industrieller Umsetzbarkeit.

„Wir schauen uns konsequent das gesamte System an – nicht nur unter Sicherheitsaspekten, sondern auch mit Blick auf Effizienz und Nachhaltigkeit.“

Battery-News: Mit der „N-in-1“-Leistungselektronik geht IAV in Richtung Integration. Wie stark muss heute schon die Batterieentwicklung auf die Architektur der Leistungselektronik abgestimmt sein – und was bedeutet das für die Zukunft?
Clauß: Die Batterie ist nicht nur eine der leistungsbestimmenden, sondern auch eine der wertvollsten Komponenten im Fahrzeug – entsprechend sensibel und schützenswert ist sie. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass auch alle peripheren Systeme erheblich zur Gesamtkostenstruktur beitragen. Deshalb schauen wir uns konsequent das gesamte System an – nicht nur unter Sicherheitsaspekten, sondern auch mit Blick auf Effizienz und Nachhaltigkeit. Ein wichtiger Hebel liegt in der Elektronikarchitektur: Hochintegrierte Steuergeräte ermöglichen es, Funktionen aus unterschiedlichen Einzelkomponenten zu zentralisieren. Dadurch lassen sich in einem leistungsstarken Zentralsteuergerät Rechenoperationen realisieren, die in verteilten Steuergeräten technisch oder wirtschaftlich gar nicht möglich wären. In den Komponenten verbleiben dann lediglich sicherheitsrelevante Funktionen – was sie nicht nur sicher, sondern auch schlanker, kostengünstiger und nachhaltiger macht. Ein weiterer Schritt ist die Verlagerung bestimmter Funktionen aus dem Zentralsteuergerät in die Cloud. Damit lassen sich Flotten intelligent miteinander vernetzen, Funktionen softwareseitig nachrüsten und Optimierungen sogar im Betrieb vornehmen. Für den Kunden entsteht dadurch ein System, das nicht nur sicher und leistungsfähig, sondern auch zukunftsfähig und flexibel ist.

„Das ideale Batteriesystem wird nicht nur nachhaltig und standardisiert sein, sondern hochgradig vernetzt, sicher und transparent.“

Battery-News: Wie sieht die ideale Fahrzeug-Batterie in fünf bis sieben Jahren aus – nicht nur technisch, sondern auch mit Blick auf Nachhaltigkeit, Sicherheit und Systemintegration?
Clauß: Fahrzeugbatterien sind längst mehr als nur Energiespeicher für den Antrieb – sie sind ein zentraler Baustein der Energiewende. Das ideale Batteriesystem der Zukunft wird nicht nur nachhaltig und standardisiert sein, sondern hochgradig vernetzt, sicher und transparent. Es wird flexibel in unterschiedlichen Anwendungen einsetzbar sein – vom Fahrzeug bis zum stationären Speicher – und einen echten Mehrwert in Mobilität und Energiewirtschaft liefern. Neue Zellchemien wie Natrium-Ionen-Batterien können eine spannende Alternative sein, gerade da, wo Kosten und Verfügbarkeit im Vordergrund stehen. Für besonders leistungsintensive Anwendungen betrachten wir auch Lösungen wie Twin-Batterien als vielversprechend. Am Ende zählt: Was der Kunde braucht, muss nachhaltig, bezahlbar und vor allem schnell verfügbar sein. Und genau daran arbeiten wir.

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