Wie gut ist Europa in sämtlichen Bereichen der Batterie-Branche aufgestellt? Die 2024er Neuauflage des „Battery Atlas“ bildet das Engagement und die Verteilung von Akteuren entlang der gesamten Wertschöpfungskette ab. Im exklusiven Interview mit Battery-News erklärt Professor Heiner Heimes, Leitungsmitglied des Lehrstuhls „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen und Verantwortlicher des „Battery Atlas“, welche Chancen sich für Europa auftun – und welchen Herausforderungen sich der Kontinent gegenübersieht.
Battery-News: Seit der Veröffentlichung des ersten „Battery Atlas“ sind zwei Jahre vergangen. Was har sich in dieser Zeit getan?
Professor Heiner Heimes: Es ist tatsächlich beeindruckend zu sehen, wie schnell die europäische Batterie-Industrie innerhalb von zwei Jahren gewachsen ist. Als Europäer können wir gleichzeitig dankbar für und stolz auf diese Entwicklung sein. Wir müssen uns auch immer vor Augen führen, unter welchen Umständen wir gerade wirtschaften, forschen, leben. Die weltpolitische Lage zeigt uns, dass wir gut beraten sind, uns bei allen kritischen Komponenten möglichst unabhängig zu machen. Die Lithium-Ionen-Batterie ist eine davon. Um hier eine größtmögliche Unabhängigkeit zu erreichen, ist die Entwicklung unterschiedlicher Industrien rund um die Lithium-Ionen-Batterie entscheidend – und dahat sich vieles getan.
Battery-News: Wie schlägt sich das im aktuellen „Battery Atlas“ nieder?
Heimes: Wir haben unseren Blick geweitet. Dabei sind neun thematische Europa-Karten entstanden, die den Status quo der verschiedenen Industriesektoren illustrieren. Dabei schauen wir wie beim letzten Mal auf Zellhersteller, Modul- und Packproduzenten, auf Zulieferer von Anlagen und Batterie-Aktivmaterial sowie auf Recycling-Unternehmen und Batterietestzentren. Neu hinzugekommen sind die Marktteilnehmer für Batteriequalitätssicherung, passive Zellkomponenten und sogenannte „Second Life“-Anwendungen von Batterien, die nach ihrem ersten „Leben“ in Elektrofahrzeugen zum Tragen kommen – zum Beispiel in stationären Energiespeichern. Der neue „Battery Atlas“ deckt also den größten Teil des Lebenszyklus der Batterie ab, angefangen bei den aktiven und passiven Zellkomponenten bis hin zum Recycling oder zur Zweitverwendung ausgemusterter von Batteriezellen.
„Europa ist trotz hoher Energiekosten nach wie vor ein entscheidender Markt in der Batteriewelt.“
Professor Heiner Heimes
Battery-News: Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihren Betrachtungen gewonnen?
Heimes: Beispielsweise, dass Europa trotz hoher Energiekosten nach wie vor ein entscheidender Markt in der Batteriewelt ist. Abgesehen von Deutschland entwickelt sich hier auch Ungarn zu einem Zentrum der Batterieproduktion. Mit den steigenden Kapazitäten in der Zellproduktion eröffnen sich neue Möglichkeiten in der Modul- und Packproduktion. Das gilt sowohl für den Automobilsektor als auch für den fortschreitenden Bereich der stationären Energiespeicher. Das wiederum hat dazu geführt, dass sich vermehrt Maschinen- und Anlagenbauer in Europa etablieren. Sie profitieren davon, dass ihre Kunden – die Batteriezellenhersteller – ebenfalls in Europa ansässig sind. In unmittelbarer Nähe befinden sich außerdem immer häufiger auch Unternehmen, die sich der Qualitätssicherung widmen. Wir sehen außerdem, dass sich zunehmend Lieferanten für Batteriematerialien in Europa niederlassen. Diese Unternehmen haben erkannt, dass die Zellproduktion von stabilen Lieferketten abhängig ist.
Battery-News: Wie sieht es speziell im Recycling-Sektor aus? Er ist der Batterieproduktion zeitlich nachgelagert, scheint aber auch im industriellen Hochlauf später „anzukommen“.
Heimes: Beides stimmt, allerdings tut sich auch in diesem Bereich gerade sehr viel: In Europa gründen sich in kurzer Zeit zahlreiche Recycling-Unternehmen mit vielversprechenden innovativen Ansätzen mit Blick auf Effizienz und Nachhaltigkeit. Da längst aber nicht alle im Elektrofahrzeug ausgedienten Batterien sofort recycelt werden müssen, wächst auch die Zahl der Akteure im Bereich der stationären Speicher – aber auch im Sektor der Testzentren, da jede Lithium-Ionen-Batterie verschiedene Abnahme- und Leistungsprüfungen durchlaufen muss, bevor sie zugelassen wird. Dadurch, dass in Europa gerade viele Unternehmen gleichzeitig Batterie-Entwicklung betreiben, entsteht ein entsprechend hoher Prüfaufwand, von dem Testzentren profitieren.
„In Deutschland wollen einzelne Fahrzeughersteller bis zum Jahr 2030 rund 20.000 Fachkräfte für die Batterieproduktion einstellen – sie konnten bisher aber nur 1.000 Stellen besetzen.“
Professor Heiner Heimes
Battery-News: Sieht sich Europa neben allen diesen Erfolgen auch mit Herausforderungen konfrontiert?
Heimes: Wir haben Grund zur Zuversicht, aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein. Das sieht man zum Beispiel, wenn man sich eine aktuelle Studie des englischen Portals „Verdict“ vor Augen führt. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass Jobs im Batteriesektor die am schwierigsten zu besetzenden Stellen in der gesamten Technologiebranche sind. In Deutschland wollen einzelne Fahrzeughersteller bis zum Jahr 2030 rund 20.000 Fachkräfte für die Batterieproduktion einstellen – sie konnten bisher aber nur 1.000 Stellen besetzen. Die Ausbildung solcher Fachkräfte findet in der Regel im Rahmen von geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekten statt, weshalb es wichtig ist, dass Hochschulen, wissenschaftliche Einrichtungen und Unternehmen bei Projekten zur Batterieforschung weiterhin staatlich unterstützt werden. Ausgerechnet hier hat die Bundesregierung aber zuletzt massive Mittelkürzungen bekanntgegeben.
Battery-News: Wie kann sich die Batterie-Branche in Europa bestmöglich vor Widrigkeiten wappnen?
Heimes: Ob und wie Europa sich im globalen Wettbewerb behaupten kann, entscheidet sich auch daran, wie gut sich die vielen unterschiedlichen Marktteilnehmer miteinander vernetzen. Wenn es den verschiedenen Akteuren gelingt, Kooperationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu etablieren, können wir Dienstleistungen als schlüsselfertige Lösungen „made in Europe“ anbieten, gemeinsam Skaleneffekte nutzen und finanzielle Mittel für Forschung und Entwicklung bündeln, um neue Technologien noch schneller zur Anwendung zu bringen. Dann ist Europa auch beim Ausbau der Elektromobilität auf einem vielversprechenden Weg. Wenn wir nationale Grenzen überwinden, können Investitionen in die Batterieproduktion eines Landes den Maschinen- und Anlagenbau in einem anderen Staat stärken oder zur Nutzung von Batterietestzentren in einer wiederum anderen Nation führen. Wenn wir uns gegenseitig bei der Entwicklung neuer Projekte unterstützen, wird es uns gelingen, die europäische Batterie-Industrie robust zu machen und die Versorgung mit diesem wesentlichen Bestandteil unserer zukünftigen Mobilität langfristig zu sichern.
Dem Autoren-Team des kostenfrei erhältlichen „Battery Atlas 2024“ gehören Gerrit Bockey, Artur Scheibe, Natalia Soldan, Niklas Kisseler, Benedict Späth, Merlin Frank und Jan Felix Plumeyer an.
Der „Battery Atlas 2024“ steht auf der Website von PEM RWTH Aachen zum Download bereit. Einzelne Karten gibt es außerdem im „Battery Atlas“-Bereich der Battery-News.