„Der Batteriepass ist ein interdisziplinäres Mammutprojekt“

Es ist gut dokumentiert: Über den Batteriepass wird derzeit viel diskutiert. Dr. Francesco Maltoni, leitender Experte „Batteriesysteme“ beim Automobildienstleister „FEV Europe“, erklärt im Exklusiv-Interview mit den Battery-News aus seiner persönlichen Sicht, welche Stolpersteine es gibt und wie der digitale Ausweis tatsächlich zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft beitragen kann.

Battery-News: Vor kurzem haben Sie bei der „Advanced Battery Power“-Konferenz über den Batteriepass gesprochen – ein Thema, das aktuell viel Aufmerksamkeit bekommt. Was hat es damit im Wesentlichen auf sich?
Dr. Francesco Maltoni: Der Batteriepass erfüllt drei zentrale Aufgaben: Er ermöglicht die Rückverfolgung der Batterielieferkette, um den ökologischen Fußabdruck besser bewerten zu können, er schafft Transparenz für Endkunden, indem Informationen zur geschätzten Restlebensdauer einfach zugänglich gemacht werden, und er bildet die Grundlage für einen Sekundärmarkt gebrauchter Batterien – inklusive Dokumentation zur Umwidmung und zum Recycling. Vor allem für günstige stationäre Speicherlösungen wird das relevant, denn deren wirtschaftlicher Nutzen im „Second Life“-Bereich ist hoch – vorausgesetzt, Umwidmung und Bürokratie werden praktikabler gestaltet.

„Viele Industrie-Akteure setzen derzeit nur das absolute Minimum um.“

Battery-News: Die Idee eines digitalen Lebenslaufs klingt fortschrittlich – aber wird der Batteriepass wirklich ein Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft oder am Ende doch eher ein bürokratischer Klotz am Bein?
Maltoni: Die schlechte Nachricht zuerst: Der Aufwand, vor allem mit Blick auf Bürokratie, Testing und Implementierung, ist enorm, was für kleinere Unternehmen tatsächlich eine Abschreckung sein kann. In der Praxis sehen wir, dass viele Industrie-Akteure derzeit nur das absolute Minimum umsetzen – nicht etwa aus mangelndem Willen, sondern weil der Aufwand im Vergleich zum unmittelbaren Nutzen schlichtweg zu hoch erscheint. Doch wenn der Batteriepass richtig gedacht und weiterentwickelt wird, könnte er als Plattform dienen, auf der neue Dienste entstehen – etwa zur Lebensdauervorhersage, zur Bewertung gebrauchter Batterien oder für „Second Life“-Marktplätze. Damit würde er sich vom bürokratischen Hindernis zum Ermöglicher für die Kreislaufwirtschaft wandeln.

„Viele technische Konsequenzen wurden einfach nicht zu Ende gedacht.“

Battery-News: Die EU will mit der neuen Batterieverordnung vieles richtig machen. Wie realitätsnah sind diese Regularien im Alltag wirklich?
Maltoni: Die Ziele der Verordnung sind absolut begrüßenswert – allerdings wurden sie ohne tiefergehendes Anforderungsmanagement entwickelt. Viele der technischen Konsequenzen wurden einfach nicht zu Ende gedacht. So ist beispielsweise kaum berücksichtigt worden, was der Batteriepass für das Batteriemanagementsystem bedeutet – etwa im Hinblick auf Cyber-Sicherheit, Konnektivität oder Datenarchitektur. Anders als bei Produktpässen anderer Branchen, sind beim Batteriepass komplexe Berechnungen notwendig, etwa zur Restlebensdauer oder zum „State of Certified Energy“. Dafür braucht es Feedback aus realen Flotten – und eben nicht nur Labordaten. Die sogenannte Reset-Funktion beispielsweise ist nach regulatorischer Definition deutlich komplexer als üblich – was zusätzliche Aufwände in Entwicklung und Zertifizierung mit sich bringt. In der Realität sind viele Unternehmen davon überrascht, wenn sie die tatsächliche Tragweite dieser Anforderungen erkennen.

„Je transparenter die Datenlage, desto fundierter die Entscheidungen.“

Battery-News: Der Batteriepass basiert auf riesigen Datenmengen. Wer hat am Ende die Hoheit über diese Daten – und wie stellen wir sicher, dass sie nicht zum Spielball wirtschaftlicher Interessen werden?
Maltoni: Das ist eine gute Frage, denn sie trifft einen wunden Punkt: Es gibt große Markt-Akteure, die über eigene Cloud-Infrastrukturen verfügen – und damit auch über die Möglichkeit, Daten strategisch zu nutzen. Kleinere Akteure hingegen sind auf Drittanbieter angewiesen, die mit umfassenden Diagnosedaten arbeiten – und damit schnell einen Vorsprung bei Alterungsmodellen oder Service-Angeboten erzielen können. Zwar werden offenere Modelle, zum Beispiel auf Blockchain-Basis, derzeit erforscht, aber sie sind mit hohen Kosten verbunden und eignen sich aktuell nicht für die großen Datenmengen, die etwa für eine präzise Alterungsmodellierung notwendig wären. Spannend wird sein, ob wir in Zukunft ein Abo-Modell erleben, bei dem man nur gegen Bezahlung auf bestimmte Daten zugreifen kann – oder ob der Zugang möglichst offen gestaltet wird. Je transparenter die Datenlage, desto fundierter die Entscheidungen. Aber klar ist auch: Viele Hersteller zögern, alle ihre Daten offenzulegen.

„Es wird Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen benötigt.“

Battery-News: FEV ist breit aufgestellt – von der Zellentwicklung bis zur „End of Life“-Strategie. Was sind die größten technischen oder organisatorischen Hürden, die dem Batteriepass noch im Weg stehen?
Maltoni: Der Batteriepass ist ein interdisziplinäres Mammutprojekt. Er betrifft sowohl BMS-Hardware und -Software als auch Cloud-Architektur, Cyber-Sicherheit, Lieferkettentransparenz und die Ökobilanz. Zugleich spielt er eine zentrale Rolle in der Bewertung und Vermarktung gebrauchter Batterien. Es wird also Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen benötigt – von Elektronik über Datenanalyse bis hin zu Recht und Nachhaltigkeit. Die Herausforderung besteht darin, diese vielfältigen Kompetenzen nicht nur zu koordinieren, sondern sie auch hinter einer gemeinsamen Vision zu vereinen. Gerade für kleinere Unternehmen ist es schwierig, in allen diesen Bereichen auf dem aktuellen Stand zu bleiben – geschweige denn, eigene Lösungen zu entwickeln. Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Batteriepass nicht zur Eintrittsbarriere wird, sondern dass er als Plattform dient, der auch kleinen Akteuren zugutekommt.

„So würde der Batteriepass zu einem echten Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft.“

Battery-News: Zeit für „Wünsch Dir was“: Was müsste sich sofort ändern, damit der Batteriepass die Kreislaufwirtschaft tatsächlich voranbringt?
Maltoni: Mein größter Wunsch wäre, dass der Zugang zu diesem System offen und fair gestaltet wird. Konkret: eine dezentrale, öffentliche Blockchain-Infrastruktur als Standard, auf der alle Markt-Akteure unabhängig von ihrer Größe aufbauen können. Das würde für mehr Vertrauen sorgen und Raum für Innovationen schaffen. Kleine Unternehmen könnten neue Services entwickeln – von „Second Life“-Marktplätzen bis hin zu datenbasierten Diagnosen und Lebensdaueranalysen. So würde der Batteriepass zu einem echten Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft – und nicht zu einer bürokratischen Hürde.

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