„Ohne hochgradige Automatisierung werden wir nichts gewinnen“

Batterie-Ökosystem Europa: Wer macht hier eigentlich was? Von der Produktion bis zum Recycling besser alles aus einem Haus? Oder doch lieber das Modell „Jeder macht seins“? Weshalb die europäische Batterie-Industrie derzeit erst noch zu sich selbst findet, beschreibt Dr. Philipp Seidel, „Principal“ in den Bereichen „Automotive“, „Transport“ und „Sustainability“ bei der Unternehmensberatung „Arthur D. Little“, im Exklusiv-Interview mit den Battery-News.

Battery-News: Welche Bedeutung spielt der Aspekt der Kreislaufwirtschaft, wenn Sie als Berater mit anderen Unternehmen sprechen?
Dr. Philipp Seidel: Wir erleben, dass das Recycling-Thema vor allem in der Batterie-Welt ein immer wichtigerer Teil der Wertschöpfungskette ist – ganz einfach, weil Batterien nur dann für die Mobilität, die Energieerzeugung und die Energieverteilung nachhaltig sein können, wenn es echte Kreisläufe gibt. Die Batterien und ihre Rohstoffe sind viel zu wertvoll und ihre Abbau-, Verarbeitungs- und Herstellungsprozesse viel zu aufwendig, um sie nicht zu recyclen. Hierin liegt doch gerade die große Möglichkeit der Elektromobilität und der erneuerbaren Ressourcen als solchen: dass man – anders als im fossilen System – die Materialien nicht aus der Erde holt, um sie für den einmaligen Gebrauch unwiederbringlich zu verbrennen.

Battery-News: Wie lässt sich die Batterieproduktion prinzipiell nachhaltiger gestalten?
Seidel: Das geht umfassend nur mit einem ganzheitlichen Blick auf alle Bestandteile der Wertschöpfungskette und beginnt im Grunde mit verantwortungsvoller, effizienter Rohstoffgewinnung und der vorherigen Auswahl der Batterietechnologie. Schon da gibt es deutlich nachhaltigere Entscheidungen als andere. Lithium-Eisenphosphat, also LFP, ist mit Blick auf die Zusammensetzung zum Beispiel unkritischer als die klassische NMC-Batterie mit Materialien wie Kobalt und Nickel. Wichtig ist natürlich auch die Frage: Welche energieintensiven Prozesse lassen sich mit „Erneuerbaren“ betreiben, und wie lässt sich Ausschuss vermeiden oder möglichst gering halten? Außerdem spielt am Ende eine Rolle – wenn auch keine sehr große –, wie weit die Materialien und die Zwischenstufen der Batterien während ihrer Entstehung gereist sind.

Battery-News: Auch das Produkt-Design gilt als ein wichtiger Nachhaltigkeitsfaktor – mit Blick auf die Wiederwendbarkeit.
Seidel: Richtig, da gibt es Trends hin zu Ansätzen wie „Cell-to-Pack“ oder sogar „Cell-to-Chassis“, die die Wiederverwendung, die Reparatur und das Recycling erschweren. Zur Nachhaltigkeit zählt außerdem die Frage, wie sich die Lebensdauer von Batterien verlängern lässt, und das fängt schon beim Lade- und Entlademanagement des BMS an. Was ist das Hauptkriterium für das Batteriemanagement? Geht es um Lebensdauer, um Zyklenfestigkeit, oder geht es um schnelle Lade- und Entladefähigkeit? Darauf kann man genauso Einfluss nehmen wie auf das Thermomanagement. Und ich denke, dass man sich mit Blick auf Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit auch noch genauer fragen wird, welche Second-Life-Anwendungen tatsächlich sinnvoller sind als ein direktes Recycling.

„Die Rollenverteilung hat sich in Europa noch nicht herauskristallisiert – das befindet sich derzeit noch im Aufbau- und Versuchsstadium.“

Battery-News: In der Industrie wird derzeit häufiger der Wirtschaftlichkeitsaspekt des Recyclings infrage gestellt. Wie erleben Sie das?
Seidel: Das ist schwierig zu verallgemeinern. Die Herausforderung im Recycling-Geschäft liegt – ähnlich wie bei der Batterieproduktion – darin, dass es sich in Europa um eine in vielerlei Hinsicht neue Industrie handelt, so dass man nicht auf skalierte Erfahrungen zurückgreifen kann. Europa hat noch keinen geschlossenen „Business Case“. Regulatorisch wird Recycling aber künftig verlangt. Im Automobilbereich setzt sich durch, dass man entsprechende Kapazitäten für die Batterien vorhalten muss. Mercedes beispielsweise geht da gerade stark voran und errichtet mit Partnern eigene Recycling-Anlagen. Es muss sich erst noch zeigen, ob es erfolgreicher ist, so etwas im eigenen Unternehmen integriert oder als Joint Venture zu machen oder ob dafür externe Anbieter nicht besser geeignet sind. Das alles bringt uns schließlich zu den Grundsatzfragen zurück: Wie ist unser Batterie-Ökosystem, wie ist die Batterie-Industrie aufgestellt? Was muss ein OEM und was muss ein Zulieferer machen? Diese Rollenverteilung hat sich in Europa noch nicht herauskristallisiert – das befindet sich derzeit noch im Aufbau- und Versuchsstadium.

Battery-News: Welche konkreten Trends und Innovationen erkennen Sie auf dem europäischen Markt?
Seidel: Auf der einen Seite sehen wir einen aus der Elektrofahrzeug-Industrie stammenden hohen Kostendruck im globalen Wettbewerb, auf der anderen Seite eine unsichere, verzögerte Markthochlaufkurve in den Zielmärkten. Deshalb suchen alle Batterie-Akteure momentan nach Stellschrauben zur Kosteneinsparung. Der Innovationstreiber liegt in der Frage, wie sich die Prozesse sowohl im Recycling als auch in der Produktion von Batterien effizienter, schneller und flexibler gestalten lassen. Das fängt schon bei der Materialvorbereitung mit effizienteren Öfen für Kathodenaktivmaterial an und setzt sich bei effizienteren Trocknungsprozessen oder Trockenbeschichtung in der Zellherstellung fort. Die gesamte Wertschöpfungskette ist sehr energieintensiv, und Energie ist in Europa teurer als in den anderen Wettbewerbsregionen.

„Damit existiert jetzt wieder eine EU-Regulierung, die harte Ziele setzt und Prozente vorgibt, von denen unklar ist, ob sie erfüllbar sind.“

Battery-News: Die EU führt strengere Vorgaben für das Batterie-Recycling ein. Welche Resonanz erleben Sie darauf?
Seidel: Grundsätzlich ist es ja richtig, dass die EU ein Regelwerk in Kraft setzt, das weit in die Zukunft reicht. In China beispielsweise gibt es solche Vorgaben mit Blick auf das Recycling schon länger. Dass wir da „aufgeholt“ haben, ist einerseits gut – andererseits bekommen wir mit, dass damit wieder eine EU-Regulierung existiert, die harte Ziele setzt und Prozente vorgibt, von denen unklar ist, ob sie erfüllbar sind. Man hat erkannt, dass Europa eine geschlossene Batteriematerial-Lieferkette braucht, aber es dürften noch viel zu wenige Batterien im Umlauf sein, um Recycling-Anlagen zeitnah in großem Stil zu bedienen. Das gleiche gilt für Gigafactory-Kapazitäten und deren industriellen Output. Die Dinge müssen vielmehr alle auf sinnvolle Weise miteinander wachsen. Momentan scheint es auch so zu sein, dass die Recycling-Ansätze, die wir in Europa haben, vor allem bis zum Vorhandensein von schwarzer Masse funktionieren, dass es dann aber an Kapazitäten fehlt, um daraus tatsächlich wieder Batteriematerial zu generieren. Die Mercedes-Anlage kann das jetzt – sie hat den hydrometallurgischen Schritt integriert. Ansonsten aber haben wir in Europa viel Demontage und besagte Schwarzmasse-Produktion, aber die Kette ist noch nicht geschlossen.

Battery-News: Apropos „Kette“: Die Frage ist ja auch, ob Europa im Bereich der Batteriematerialien überhaupt autark werden kann.
Seidel: Vermutlich nicht, und das ist vielleicht auch gar nicht notwendig. Wir müssen aber zu einer deutlich stärkeren Diversifizierung der Upstream- und der Midstream-Wertschöpfungskette kommen, als das bisher der Fall ist. Es ist ja nicht so, als wären alle Batterierohstoffe in China beheimatet, sondern sie werden vor allem dort verarbeitet. Bei manchen Materialien haben wir schon die richtigen Schritte gemacht: Auch in Europa entstehen jetzt Lithium-Raffinerien, und Phosphat stammt beispielsweise aus Nordafrika. Das kann aber erst der Anfang sein.

„Für Europa wird ein Erfolgsfaktor im Einsatz erneuerbarer Energie liegen, damit das System auch wirklich nachhaltig ist.“

Battery-News: Unter welchen realistischen Bedingungen kann Europa sich letztlich die bestmögliche Batterieproduktion aufbauen?
Seidel: Neben dem kompletten Ökosystem zur Produktion ist auch die Forschung sehr wichtig, genauso wie ein spezialisierter Anlagenbau. Das brauchen wir nicht zwangsläufig alles an einem Ort, aber für jeden Schlüsselbereich benötigen wir starke Akteure irgendwo in Europa. Dafür brauchen wir wiederum mehr Koordination – nicht unbedingt durch den Staat, aber es muss eine Instanz geben, die das in die Hand nimmt. Im Bereich der Luftfahrt hatte Europa das schon mal geschafft, indem Airbus gegründet wurde. Das hat zwar sehr viel Geld und Zeit gekostet und war kommerziell zuerst nicht besonders erfolgreich. Aber heute ist Airbus ein weltweit führender Player, während zum Beispiel Boeing in Schwierigkeiten ist. Für die Batterie brauchen wir so etwas vielleicht auch. China hat es vorgemacht und gezeigt, wie man aus einzelnen Unternehmen zuerst nationale Champions hervorbringt und dann mit Förderung und Regularien globale Marktführer formt. Für Europa wird ein Erfolgsfaktor im Einsatz erneuerbarer Energie liegen, damit das System auch wirklich nachhaltig ist.

Battery-News: Ein weiterer Knackpunkt dürften die Kosten sein.
Seidel: Richtig. Das lässt sich gut am Beispiel der Automatisierung beschreiben, die gerade in einer Region mit hohen Arbeitskosten und hoher Produktivität ein Schlüsselfaktor ist. Wenn wir es nicht schaffen, in unserer Batterie-Industrie einen hohen Automatisierungsgrad zu etablieren, werden wir nichts gewinnen. Das gilt für die Zellproduktion genauso wie für das Recycling.

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