„‚Thermal Propagation‘-Tests werden immer bedeutsamer“

Versuchs-Weise: Wenn etwas schiefgeht, dann lieber beim Testen als im Realbetrieb. Das gilt erst recht für potenziell gefährliche „Kandidaten“ wie Elektrofahrzeug-Batterien. Um sie zu einem sicheren Bestandteil der täglichen Mobilität zu machen, werden sie zahlreichen verschiedenen Prüfungen unterzogen. „Trotz großer Errungenschaften im Bereich der simulativen Absicherung sind reale Tests nach wie vor unerlässlich“, sagt Dr. Ansgar vom Hemdt, Geschäftsführer der „TÜV Rheinland Automotive Component Testing GmbH“, im Exklusiv-Interview mit den Battery-News.

Battery-News: Der TÜV Rheinland genießt einen Ruf für höchste Standards in der Zertifizierung und Sicherheit. Wie wichtig ist das Testing von Batterien für die Zukunft der Elektromobilität und von stationären Energiespeichern, und worin liegen die größten Herausforderungen, die Sie heute im Markt beobachten?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Das Testing ist integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses von Batterien. Trotz großer Errungenschaften im Bereich der simulativen Absicherung ist es nach wie vor unerlässlich, die einzelnen Musterstände realen Tests zu unterziehen. Nur mit Hilfe von Prüfungen unter realitätsnahen Bedingungen kann sichergestellt werden, dass das Produkt die Qualitätsanforderungen wirklich erfüllt. Auch deshalb schreibt der Gesetzgeber bei der Typzulassung von Antriebsbatterien einen umfangreichen Testkatalog vor. Herausforderungen bei der Entwicklung beziehungsweise beim Testing von Batterien gibt es einige. Zu den größten zählen – neben hoher Energiedichte und Schnellladefähigkeit – die Beherrschung eines Thermischen Durchgehens im Batteriesystem. Hierzu hat der Gesetzgeber die Anforderung an die Typgenehmigung noch mal verschärft. Um einerseits die aktuellen Vorschriften und andererseits die unterschiedlichen Testmethoden zum Ausschluss von Gefahren zu erläutern, die von Elektrofahrzeug-Batterien ausgehen können, haben wir gemeinsam mit dem Lehrstuhl PEM der RWTH Aachen vor kurzem den kostenfreien Leitfaden „Batterietyp-Prüfung gemäß UN-Regelung Nr. 100 Revision 3“ veröffentlicht.

Battery-News: Mit dem zunehmenden Bedarf für leistungsfähige und langlebige Batterien steigt auch der Druck auf Hersteller und Prüfinstitutionen. Wie gewährleisten Sie, dass die Testverfahren des TÜV mit der rasanten Entwicklung von Batterietechnologien Schritt halten können?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Unsere angewendeten Testverfahren orientieren sich immer an den aktuell gültigen Normen und den Spezifikationen unserer Kunden. Schon bei der Konzeptentwicklung unseres Prüflabors haben wir Szenarien dazu erarbeitet, wie die Entwicklung im Bereich der Batteriesysteme verlaufen kann. Dementsprechend sind unsere Prüfstände darauf ausgelegt, flexibel auch zukünftige Batterietechnologien oder sich ändernde Testanforderungen berücksichtigen zu können.

„Unsere Prüfstände sind so konzipiert, dass wir Extremszenarien realitätsnah und wiederkehrend abbilden können.“

Battery-News: Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass die thermische Instabilität bei Lithium-Ionen-Batterien immer noch ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko darstellt. Wie weit ist der TÜV Rheinland mit der Entwicklung von Testverfahren vorangeschritten, die sich realistisch und reproduzierbar mit solchen extremen Bedingungen beschäftigen?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Unsere Prüfstände sind so konzipiert, dass wir auch Extremszenarien realitätsnah und wiederkehrend abbilden können. Beim jeweiligen Prozedere unterscheiden wir zwischen Funktionstests und „Abuse Tests“. Ein typischer Funktionstest in diesem Zusammenhang ist der Überhitzungstest, bei dem das Laden und Entladen der Batterie mit hohen Strömen eine gezielte Überhitzung hervorruft. Das Batteriemanagementsystem schaltet bei Überschreiten einer spezifischen Grenztemperatur den Lade-/Entladevorgang ab, so dass es gar nicht erst zu einer thermischen Instabilität kommt. Daneben gibt es aber auch „Abuse Tests“, beispielsweise „Thermal Propagation“-Versuche, bei denen einzelne Zellen oder Module bewusst zum thermischen Durchgehen gebracht werden. Das Entwicklungsziel der Hersteller ist, eine solche Propagation des Batteriesystems möglichst zu verhindern und über ein Warnsignal die Insassen im Fahrzeug rechtzeitig vor einer kritischen Situation zu warnen. „Thermal Propagation“-Tests sind in den vergangenen Jahren immer bedeutsamer geworden.

Battery-News: Vorgeschrieben sind sie aber nicht?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Nein, regulatorisch sind diese Prüfungen im Rahmen der Typgenehmigung von Fahrzeugen in Europa aktuell nicht zwingend. Der TÜV Rheinland hat zusammen Partnern in den entsprechenden UN-Arbeitsgruppen aber an der Standardisierung solcher Tests gearbeitet. Seit Ende 2024 liegt ein entsprechender Vorschlag zur Ergänzung der „Regelung 100 – Part II“ vor. Wir gehen davon aus, dass er noch im Laufe des Jahres 2025 verabschiedet wird. Damit gibt es in Zukunft einen standardisierten Rahmen mit vergleichbaren und reproduzierbaren Bedingungen. Wir selbst haben bereits bei der Konzeptionierung unseres Labors großen Wert auf die Reproduzierbarkeit, aber auch auf die Umweltverträglichkeit von „Abuse Tests“ gelegt. Deshalb nehmen wir diese Versuche in unserem Labor nur unter kontrollierten Bedingungen in Prüfräumen und nicht unter freiem Himmel vor. Dadurch können wir sicherstellen, dass wir jedes Mal die gleichen Umgebungsbedingungen vorfinden und entstehende Schadstoffe nachbehandelt werden.

„Die Normungsgremien arbeiten derzeit daran, die neue Marktentwicklung rund um ‚End of Life‘-Batterien in ihre Standards zu überführen.“

Battery-News: In der Industrie wird zunehmend über das „End of Life“-Testing für Batterien diskutiert. Wie bewerten Sie die aktuellen Standards für das Testen recycelter oder wiederverwendeter Batterien, und gibt es hier Verbesserungspotenziale?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Die große Herausforderung beim Testing von Batterien für Zweitmarkt-Anwendungen ist, dass die Akkus nicht unmittelbar aus einer standardisierten Massenfertigung mit vergleichbarem Qualitätsniveau stammen, sondern eine umfangreiche Erstverwendung hinter sich haben. Es empfiehlt sich deshalb grundsätzlich, die Batterie schon vor der Einführung in den Erstmarkt auch für die spätere Folgeanwendung auszulegen und dementsprechend abzusichern. In diesem Fall müsste dann als „End of Life“-Testing eine Qualitätssicherung der Rückläufer-Batterien erfolgen, um sicherzustellen, dass die Batterien immer noch den Anforderungen für einen weiteren Lebenszyklus gerecht werden. Die Normungsgremien arbeiten derzeit daran, diese neue Marktentwicklung in ihre Standards zu überführen.

Battery-News: Batteriehersteller setzen vermehrt auf Schnelllade-Technologien. Wie belastbar sind Ihre Testverfahren mit Blick auf diese neuen Anforderungen? Sehen Sie Risiken, die unterschätzt werden?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Aktuelle Fahrzeuggenerationen können mit bis zu 300 Kilowatt im Peak laden. Unsere Prüfstände sind darauf ausgelegt, Batterien mit 500 Kilowatt und mehr zu laden beziehungsweise zu entladen, und sie sind modular erweiterbar. Die reine Spitzenleistung ist aber eigentlich nebensächlich. Es geht vielmehr darum, die Batterie möglichst lange mit einem hohen Strom zu laden, um die Ladezeit zu verringern. Bei diesen hohen Strömen ist ein ausgeklügeltes Thermomanagement in der Batterie notwendig, um eine Überhitzung der Batterie zu vermeiden. Eine weitere Herausforderung ist die höhere Belastung der Batterie, die zu einer schnelleren Alterung infolge der Schnellladevorgänge führt.

„Für eine gleichwertige Qualität der Grundstoffe zu sorgen, ist Aufgabe der Recycling-Betriebe und der Batteriematerial-Hersteller.“

Battery-News: Angesichts der steigenden Nachfrage bei nachhaltigen Batteriesystemen wird das Recycling immer wichtiger. Welche spezifischen Testverfahren bietet der TÜV Rheinland zur Sicherstellung der Qualität recycelter Batterien an?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Für eine gleichwertige Qualität der Grundstoffe zu sorgen, ist Aufgabe der Recycling-Betriebe beziehungsweise der Hersteller von Batteriematerialien. Diese Qualität lässt sich dann durch ein externes Testlabor nachweisen. Wir als „TÜV Rheinland ACT“ fokussieren uns auf das Testen vollständiger Batteriesysteme. Dabei unterscheiden wir aber nicht zwischen Akkus, die aus recycelten Grundstoffen hergestellt werden, und solchen, die aus neugewonnenen Grundstoffen hervorgehen. Die Testanforderungen liegen immer gleich hoch.

Battery-News: Wo sehen Sie die größte Weiterentwicklung des TÜV Rheinland im Bereich der Batterieprüfung? Welche Standards sind für die Zukunft der Batterietechnologie unerlässlich?
Dr. Ansgar vom Hemdt: Wir arbeiten kontinuierlich an der Weiterentwicklung unseres Prüfportfolios, denn wir möchten unsere Kunden bestmöglich bei ihrer eigenen Weiterentwicklung von Batteriesystemen unterstützen. Wichtig ist, dass wir dazu auch die passenden Prüfmöglichkeiten für Batterietechnologien von morgen anbieten können. Deshalb arbeiten wir stetig an der Verbesserung unserer Prozesse, um noch schneller und effizienter den Anforderungen unserer Kunden nachzukommen.

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