„Die Batterie ist immer noch erstaunlich schlecht verstanden“

Autor: Die Redaktion

Veröffentlicht am 03.12.2021

Kai-Philipp Kairies ist sich sicher: „Nachhaltige Stromspeicher bilden das wichtigste Puzzleteil der Energiewende.“ Allerdings: „Das Betriebsverhalten von Batterien ist heute immer noch erstaunlich schlecht verstanden“, sagt der CEO der ACCURE Battery Intelligence GmbH mit Sitz in Aachen. Im Interview mit „Battery-News.de“ spricht Kairies über sein Start-up-Unternehmen und die Bedeutung der Batteriedaten-Analyse.

Battery-News.de: Wie haben Sie zu Ihrer heutigen Position als CEO & Co-founder der ACCURE Battery Intelligence GmbH gefunden?
Kai-Philipp Kairies: Mit Batterien beschäftige ich mich schon seit meinem Studium. Ich bin der festen Überzeugung, dass nachhaltige Stromspeicher das wichtigste Puzzleteil der Energiewende sind, und wollte mich in diesem spannenden Zukunftsfeld engagieren. Über die nächsten zehn Jahre hinweg stellte ich in diversen Forschungs- und Entwicklungsprojekten in Europa, Asien und den USA fest, dass das Betriebsverhalten von Batterien heute immer noch erstaunlich schlecht verstanden ist. Darauf wollte ich eine Antwort finden und gründete nach der Promotion mit zwei Freunden ein Start-up-Unternehmen. Keine zwei Jahre später waren wir dann 40 Menschen im Team – mit Kunden auf der ganzen Welt.

„Kritische Anomalien erkennen, bevor sie gefährlich werden“

Battery-News.de: Mit Ihrem Unternehmen haben Sie sich auf die Auswertung von Batteriedaten spezialisiert, die Sie aus elektrischen Fahrzeugen und stationären Energiespeichersystemen beziehen. Welche Möglichkeiten bietet Ihre Technologie?
Kairies: Unsere Analysen verbessern die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit von Batterien. Es funktioniert im Grunde wie ein Fitness-Tracker für den Sportler oder Google Analytics für die Website. Wir aggregieren bereits vorhandene Daten und werten sie zielgerichtet aus. Dadurch sind wir beispielsweise in der Lage, kritische Anomalien zu erkennen, bevor sie gefährlich werden. Daneben kategorisieren unsere Algorithmen Nutzungsprofile und erstellen digitale Zwillinge der individuellen Batterien, die wiederum Prognosen über deren künftiges Verhalten ermöglichen. So lassen sich unter anderem deren Restwerte bestimmen und Second-Life-Modelle realisieren.

Funktionsprinzip der Batterieanalyse

Battery-News.de: Welche Messwerte analysieren Sie dabei, und wie erfolgt die Auswertung?
Kairies: Bei unseren Analysen stützen wir uns ausschließlich auf die Sensorwerte, die ohnehin vom Batteriemanagementsystem generiert werden – also Strom, Spannung und Temperatur. Aufwendige Batterietests oder zusätzliche Sensoren sind für unsere Arbeit nicht erforderlich. Die Auswertung der Daten erfolgt dann in der Cloud. Dort berechnen physikalische Modelle, was im Inneren der Batterien vor sich geht. Eine zentrale Herausforderung sind dabei die stark schwankenden Datenverfügbarkeiten, Sensorqualitäten oder Messauflösungen. Um Messwerte über Millionen von unterschiedlichen Batteriesystemen vergleichbar zu machen, sind umfangreiche Bereinigungsschritte erforderlich, für die wir unter anderem modellbasierte Ansätze und „Machine Learning“ einsetzen.

„Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind schnelle Entwicklungszyklen besonders wichtig.“

Battery-News.de: Nutzen Sie Ihre Technologie ausschließlich zur Bewertung der Daten von Batterien, die bereits im Betrieb sind, oder können Sie mit Ihren Berechnungen auch die Entwicklung neuer Batterien unterstützen?
Kairies: Die Erkenntnisse aus dem Feld führen wir zusammen mit unseren Kunden zurück in die Entwicklung. Das ist extrem wichtig, denn im Gegensatz zu klassischen Verbrennerfahrzeugen, zu denen viele Unternehmen mehr als 100 Jahre Betriebserfahrung haben, sind die meisten jemals gebauten Elektrofahrzeuge sozusagen heute noch auf der Straße. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind schnelle Entwicklungszyklen besonders wichtig.

„Elektromobile weisen mit Bezug auf ihre Fahrleistung tatsächlich ein geringeres Brandrisiko auf als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.“

Battery-News.de: Ihre Arbeit hilft dabei, elektrische Fahrzeuge sicherer zu machen. Inwiefern können Sie Gefahren – zum Beispiel diejenige eines Batteriebrandes – deutlich reduzieren?
Kairies: Batteriebrände haben in den vergangenen Monaten leider immer wieder Schlagzeilen gemacht – vom Brand in Teslas „Victorian Big Battery“ bis zum Rückruf von mehr als 200.000 Elektrofahrzeugen von Hyundai, Kia und General Motors. In diesem Zusammenhang müssen wir allerdings festhalten, dass Elektromobile, bezogen auf ihre Fahrleistung, tatsächlich ein geringeres Brandrisiko aufweisen als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das haben langjährige Studien der US-amerikanischen Straßenverkehrsbehörde gezeigt. Gleichwohl ist es unsere Aufgabe als Ingenieure, Produkte so sicher wie möglich zu machen und sie kontinuierlich zu verbessern. Dabei spielt ein detailliertes Monitoring der Betriebsdaten eine wichtige Rolle. Kritische Fehler des Batteriemanagementsystems oder Anomalien des Batterieverhaltens lassen sich dadurch in vielen Fällen frühzeitig erkennen und verhindern. Zu diesem Thema haben wir vor Kurzem ein Whitepaper veröffentlicht, das auf unserer Website zum Download bereitsteht.

„Die Marktresonanz war überwältigend.“

Battery-News.de: Sie haben Ihr Unternehmen im Jahr 2020 gegründet. Wie nimmt der Markt Ihre Technologie bislang und aktuell auf?
Kairies: Die Marktresonanz war überwältigend. Wir monitoren weltweit bereits mehr als 250.000 Batteriemodule beziehungsweise eine Gigawattstunde an Speicherkapazität. Für das kommende Jahr rechnen wir mit einem dreistelligen Wachstum und werden unsere Produkte weiter ausdifferenzieren. Daneben steht ein Markteintritt in den USA an, unterstützt durch internationale Investoren.

„Die gesamte Energie- und Automobilbranche befindet sich im Wandel, und es ist klar, dass die Bedeutung der Batterie weiter steigen wird.“

Battery-News.de: Gibt es neben Ihren Kunden auch Partner, mit denen Sie zusammenarbeiten, oder sind Sie derzeit auf der Suche nach Kooperationen?
Kairies: Die gesamte Energie- und Automobilbranche befindet sich aktuell im Wandel, und es ist klar, dass die Bedeutung der Batterie weiter steigen wird. ACCURE ermöglicht es etablierten Unternehmen, neue oder bessere Produkte und Dienstleistungen anzubieten. So vertreiben wir gemeinsam mit HDI Global, einer der größten Versicherungsgruppen Europas, innovative Versicherungslösungen für Batteriespeichersysteme. Unsere modulare Lösung lässt sich einfach in die Plattformen von Partnerunternehmen etablieren und wirkt damit als „Enabler“ für neue, digitale Geschäftsmodelle. Ein Beispiel für eine solche Partnerschaft ist die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Microgrid-Monitoring-Dienstleister AMMP Technologies, zu der wir kürzlich eine „Case Study“ veröffentlicht haben. Wir freuen uns immer über eine Kontaktaufnahme etablierter Unternehmen, die Ideen dazu haben, wie wir gemeinsam die Batteriewelt nach vorne bringen können.